Pressespiegel

 

Magdeburger Volksstimme, 19.04.2005

Die Tragödie einer jungen Frau als modernes, heutiges Theater “Effi Briest” nach Theodor Fontane hatte am Theater Magdeburg Premiere

Von Liane Bornholdt

Matthias Brenner inszenierte eine eigene neue Bühnenbearbeitung von Theodor Fontanes Roman “Effi Briest”. Er schuf eine Stückfassung für 16 Schauspieler und einen Musiker, die am vergangenen Freitag im Theater in der Alten Staatsbank auf den dicht besetzten Zuschauerbanken begeistert gefeiert wurde.

Magdeburg. Es war das große Erlebnis dieses Theaterabends, dass jede der 16 Personen, die Matthias Brenner aus Theodor Fontanes Roman auf die Bühne brachte, eine tiefe, sehr genau nachzuempfindende Lebenswahrheit ausstrahlte. Durch diese Figuren wurde das Stück sehr heutig, sehr modern. Dies ist wohl gleichermaßen das Verdienst aller Schauspieler, des Bearbeiters und Regisseurs, wie der Weisheit und Sprachkunst Fontanes.

Auf die kleine Bühne in der Staatsbank hatte Nicolaus- Johannes Heyse Pergola-Gestelle gebaut, die ländlich- gepflegte Atmosphäre im märkischen Hohen- Cremmen darstellten. Ein Podest am Bühnenhintergrund und ein gezimmerter Bootssteg waren weitere Spielorte. Sie reichten aus, um nicht nur die verschiedenen Schauplätze zu zeigen, sondern auch zu simultanem Spiel, das die Fülle und Schönheit des Originals auf die Bühne brachte. Eindrucksvoll die szenische Komposition, die auf Chinesenspuk, Dünenromantik und Duellblut verzichtet und doch nichts vom Roman reduziert.

Die Einfachheit des Bühnenbaus wurde belebt durch kräftige, schöne Farben in Kostümen (Cäcilia Müller) und Beleuchtung. Die Farben des Bühnenhintergrunds hatten einen symbolischen Sinn vom Preußischblau in Hohen-Cremmen über das Blassblau der Küste zum tiefen Blutrot, das die Katastrophen der Geschichte begleitete.

Melanie Sträub war eine wunderbare, wandlungsfähige Effi, als 17-jähriger Backfisch genauso glaubhaft wie als verlassen Sterbende. Sie erzählte und agierte mal stürmisch, mal zaghaft, mal aufbegehrend und am Ende fast verschwindend matt. Man erfuhr an Haltung, Mimik und Sprachgestus in jedem Augenblick psychologisch genau, wie es Effi geht und konnte jede Nuance mitfühlen.

Jon-Kaare Koppe spielte Effis Ehemann Innstetten mit ebenso großer Genauigkeit. Etwas steif, aber nicht unzugänglich traf er genau das Maß an Unaufmerksamkeit, die Andeutung von erzieherischer Absicht, die Effi so unglücklich werden lässt, ohne je vordergründig unsympathisch zu sein.

Ihm gelang eine der eindringlichsten Szenen: Als er die Liebesbriefe von Effis Verführer Crampas findet, sitzt er verstört und mit erstarrtem, entgeistertem Gesichtsausdruck, während sich der Hintergrund blutrot färbt. Annie (Theresa Hucke) und Johanna (Susanne Krassa) kommen herein und machen verstört und erschrocken wieder kehrt. Wie auch in anderen Momenten lässt sich die Szene hier genau so viel Zeit, um die Situation tief mitzuempfinden.

Wunderbar ist auch Bernd Vorpahl als Gieshübler. Er trifft die Mitte zwischen Frohnatur und warmherzigem Freund und lässt alle menschlichen Gefühle gelten. In einer kompositorisch brillanten Szene mit Anna Hertz als Sidonie, Christian Bo Salle als Pastor Lindquist, Joachim Bachmann als Glasenabb und Helga Spielberger als Witwe Trippel ist er vielseitiger Gastgeber in Kessin. Er führt Johannes Geißler als Sängerin Marietta Tripelli in die gemischte Gesellschaft ein. Es gehörte zu einer der großen Überraschungen, wie Geißler die gruselige Ballade „Herr Oluf“ singt. Begleitet durch Patrick O’Beime am Klavier gestaltet er das Kunstlied zu einem eindringlich wirkenden Chanson, das stellvertretend Effis Geisterfurcht symbolisiert. Ergreifend auch der zarte Körperkontakt zwischen Effi und der Tripelli.

Die Szene zeigt komprimiert die historische Zeit. Sie zeigt wie sich im privaten Geschwätz schon erste nationalistische Töne in den allgemeinen Patriotismus mischen. Jede Nebenrolle hatte Gewicht und unverkennbaren Charakter. Das trifft auch auf Tabea Scholz als Roswitha zu. Sie spielt in der Kürze des Bühnenstückes einen ganzen Lebenslauf, Angst und Trauer wie auch die zupackende Freundin und mitfühlende Beschützerin Effis.

Die Tragik der Geschichte wird deutlich durch das Spiel Wolfgang Voglers als Crampas. Der nämlich bleibt bewusst blass. Effis Affäre mit ihm wird so zu der Nebensache, die sie in Wirklichkeit ist.

Gisela Hess spielt die Ministerin, der man abnimmt, dass sie Effi helfen will, energisch und mitfühlend. Die Eltern Briest, Meike Finck und Bernd-Michael Baier, sind fast ununterbrochen, in vielen Simultanszenen präsent. Ihre Unfähigkeit, die Tochter zu verstehen, wird zur eigenen Tragik. Beide spielen kräftige Charaktere, vielseitig und in sich widersprüchlich. Genau so, wie Menschen sind, heute nicht anders als vor 100 Jahren.