Pressespiegel
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02. Mai 2003, S. 40
Porträt Feuilleton
ELISABETH BARONIN VON ARDENNE - Unser aller Effi
Es will nicht mehr gehen. Zweiundsiebzig Jahre alt ist Theodor
Fontane im Winter 1891/92. Kaum Schlaf, schwere Grippe, zuviel
Morphium, tiefe Depression. Ein Psychiater rät zur Nervenheilanstalt.
Es ist die Schlüsselszene seines Lebens: Hätte sich
Fontane damals gefügt, fehlte der deutschen Literatur einer
ihrer raren Erzähler von Weltrang. Er widersteht mit letzter
Kraft. In den sechs Jahren, die ihm noch bleiben, schreibt er,
vor und neben dem „Stechlin“, jenes zweite Buch, das
ihn unsterblich macht: „Effi Briest“. Ein Ehe-Epos
und einDekadenzroman, der das wilhelminische Deutschland ein letztes
Mal in seiner Herrlichkeit erscheinen läßt, zugleich
aber die Anmaßung bloßstellt, auf die sich seine Attitüde
gründet. An Effi, die unvergleichliche Hauptfigur, verschwendet
Fontane dabei das ganze Arsenal seiner Erzählkunst. Daß
sie ihren Mann betrügt, geschieht aus schierer Langeweile.
Wie dieser ihr danach die gemeinsame Tochter entzieht und entfremdet,
schildert der Autor in einer der ergreifendsten Szenen des Buchs.
Effi zerbricht daran und stirbt.
„Es ist eine Geschichte nach dem Leben, und die Heldin
lebt noch“, notiert Fontane 1895. Effis reales Vorbild ist
damals zweiundvierzig Jahre alt: Elisabeth Baronin von Ardenne,
geborene Freiin und Edle von Plotho. Sie wird noch weitere sechsundfünfzig
Jahre leben und noch manch karitative Tat vollbringen. Die beiden
Kinder, die sie mit dem vom Offizier zum General aufstrebenden
Armand von Ardenne gezeugt hatte, sieht sie sechzehn Jahre lang
nicht - um sich ihnen dann um so enger anzuschließen. Einer
ihrer Enkel ist der Physiker, Erfinder und Krebsforscher Manfred
von Ardenne, dessen seit 1955 betriebenes Dresdner Forschungsinstitut
fünfhundert Mitarbeiter beschäftigte und als „größtes
Privatunternehmen der DDR“ galt.
Ihm, dem Liebling ihres Alters, übergibt sie 1943, an ihrem
neunzigsten Geburtstag, auch das corpus delicti des weiland sechs
Jahrzehnte zurükkliegenden Berliner Skandals: jene Liebesbriefe,
die der Düsseldorfer Amtsrichter und Sozialreformer Emil
Hartwich einst an sie gerichtet - und die Armand entdeckt hatte.
Wir kennen diese Briefe nicht, die Familie hält sie unter
Verschluß. Aber wir kennen die Briefpassagen, die Fontane
für Major Crampas erfand, der Hartwichs Rolle im Roman spielt.
Für heutige Verhältnisse sind sie von gediegener Harmlosigkeit.
Damals kosteten sie sowohl den rheinischen Realromantiker als
auch die preußische Romanfigur das Leben: Beide fallen im
Duell mit dem Gehörnten.
Nach der Wiedervereinigung hat sich ein wahrer Kult um Elisabeth
von Ardenne entwickelt. Als die Familie 1996 die Ruhestätte
in Berlin-Stahnsdorf auflösen wollte, brach ein Proteststurm
los: Seither ruht Effis Vorbild nun wieder friedlich im dortigen
Ehrengrab. Jetzt wird das Haus ihrer Geburt, Schloß Zerben
im Jerichower Land, nicht nur restauriert, sondern es soll auch,
geht es nach dem „Heimatkreis Effi Briest e.V.“, zum
Museum ausgebaut werden.
Es wird nach dem Heimatkreis gehen. Im kommenden Oktober gibt’s
erst einmal ein großes Fest, dann sieht man weiter. Zur
prospektiven Einweihung der Elisabeth-Walhalla aber sei jetzt
schon eine Forderung erhoben: Wir wollen Hartwichs Briefe lesen!
Die glückhafte Symbiose, die Literatur und Leben in diesem
Fall eingegangen sind, berechtigt uns dazu. Und Fontane hätte
nichts dagegen.
JOCHEN HIEBER
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